Die Karikatur.

Militär-Humoreske von Viktor Laverrenz
in: „Radevormwalder Zeitung” vom 31.1.1899


„Was machst du denn da?” fragte der Einjährige Franz Koch, als er bei seinem emsig bechäftigten Kameraden ins Zimmer trat.

„Ein Porträt,” erwiderte Hermann Stifter, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. „Sieh, bitte, noch nicht her! Nur einen Moment, dann ist es fertig, und du sollst mir sagen, wen es darstellt. Einstweilen nimm auf dem Sofa Platz; ich bin gleich soweit.”

Stifter, seines Zeichens ein Maler, der augenblicklich sein Jahr abdiente, machte noch ein paar kühne Stiche. Hastig glitt der Bleistift über das Papier; nun eine flotte Schattenanlage als Hintergrund und die Skizze war fertig.

„Hier!” sagte Hermann und reichte dem Freunde das Blatt, mit Spannung dessen Gesichtsausdruck betrachtend.

„Ah, famos, wirklich ausgezeichnet!” rief Koch entzückt. „Das ist ja unser Oberst Igel, wie er leibt und lebt! Alle Wetter, hast du dem aber einen martialischen Schnurrbart gemacht. Und die Augen! so stechend, als wenn man ihn in natura vor sich hätte. Czapka natürlich, wie gewöhnlich, ganz schief, und eine etwas dunkle Nase. Brillant wahrhaftig, aber alles schauderhaft übenrieben.”

„Es ist eben eine Karikatur,” entgegnete Hermunn. „Doch freut es mich, das du ihn erkannt hast. Na, also etwas anderes, was wünschest du eigentlich von mir?”

„Wollte dich abholen, bißchen spazieren gehen, Promenade lang, dann Kaffee trinken bei Schubert, abends vielleicht ins Theater, heute wird ja die neue Operette zum ersten Mal gegeben. Kommst doch mit?”

„Selbstverständlich. Wenn du dich einen Augenblick geduldest, werde ich mich sofort in Wichs werfen.”

Gesagt, gethan. Schnell wurde noch etwas Toilette gemacht, der Scheitel hinten durchgezogen, die Fähnchen kühn beiseite gekämmt, dann der Schnurrbart mit Brillantine abgezogen und forsch ausgestrichen, Säbel umgeschnallt, Ulanka angezogen und Czapka aufgesetzt.

„So, nun kann's losgehen,” sagte Stifter. „Du siehst, ich habe beim Schnell-Satteln und Packen etwas gelernt.”

Koch legte seinen Arm in den des Freundes, und beide verließen das Zimmer.

Nicht lange darauf betrat August Quapp, der Bursche Stifters, das Quartier „seines Einjährigen”, um den Kommißanzug behufs Reinigung nach der Kaserne abzuholen. Da er niemand im Zimmer antraf, so begab er sich zunächst nach dem Kleiderschrank, auf welchem eine Kiste schöner Havanazigarren stand, und verproviantierte sich aus dem reichen Vorrat seines Herrn.

„Aha!” sagte er, indem er sich behaglich auf einen Fauteuil setzte und das brennende Streichholz vor die Zigarre hielt, „da hat er wieder was jemalen. Ha, das ist ja — das ist ja der Regimentskommandeur. Hihihi! Det is ein Hauptkerl, der Stifter! Haha! Nee, wie der aussieht!? Wirklich wie'n Igel. Det Ding is einfach fein! Na, wenn das der Oberst sähe, dann ging's dem Einjährigen schlecht. Ich muß das Bild mal mit rüber nehmen und Knubben zeigen.”

Er bepackte sich mit dem zu reinigenden Anzuge, barg seinen Fund in der Drillichjacke und verließ polternd die Wohnung.

Vor der Kasernenthür begegnete ihm Knubbe.

„Du,” sagte Quapp, lich will dich mal was zeigen, laß es aber keenen sehen! Sieh mal, kennst du den hier?”

„Ach, Mensch, das ist ja Igel, unser Oberst! Na, der is aber vermoost getroffen. Das hat wohl dein Einjähriger wieder gemacht. Das Bild is wirklich scheene, sehr scheene. Zum Totlachen. Hahaha! — hahahaha — hahahaha!” — Und er lachte mit einer Ausgelassenheit, daß der vor der Wache sitzende Unteroffizier Klauke neugierig wurde und leise herzutrat. Ohne daß die beiden Ulanen eine Ahnung davon hatten, stand der strenge Vorgesetzte hinter ihnen und sah zwischen den beiden Köpfen hindurch auf das Papier.

„Wo haben Sie den Wisch her?” sagte er plötzlich barsch und laut, nachdem er das Lachen über die humoristische Zeichnung mühsam unterdrückt hatte. Quapp war in tausend Aengsten und versuchte das verhängnisvolle Blatt beiscite zu bringen. „Her damit!” schrie der Unteroffizier. „Von wo haben Sie das Gekritzel?”

„Von dem Einjährigen Stifter,” stotterte der Bursche verlegen.

„So, von dem? Na, dem werden wir die Mucken austreiben. Geben Sie mal her!”

Nach wenigen Minuten schon stand er mit dem corpus delicti vor dem Wachtmeister Knurr. Hier verfehlte er nicht, seine Thätigkeit, die er entwicket habe, um den Frevler zu entlurven, ins rechte Licht zu setzen. Er berichtete, daß er schon öfter derartige Karikaturen von Vorgesetzten gesehen habe, die alle von Stifter herrührten; daß er, Klauke, sich schon lange vorgenommen habe, die Malerseele zu überführen, und daß er neulich sogar ein Konterfei des Herrn Wachtmeisters, mit Kreide an die Stallthür gezeichnet, gesehen habe, was kein anderer als „dieser Einjährige” gemacht haben könne.

„Das ist ja ein ganz gefährliches Bürschchen,” meinte hierauf der Alte.„Morgen werde ich die ganze Geschichte dem Herrn Rittmeister melden und dann soll's ihm schlecht gehen. Na, geben Sie her. Es ist doch ein Skandal, den Herrn Oberst so abzukontrafeixen. Wir wollen es aber dem Schmierfinken und Farbenkleckser eintränken, daß es ihm vor den Augen ganz ultramarineblau werden soll.”

Der Wachtmeister nickte gemessen und hielt den rechten Zeigesinger gegen die Mütze; Klauke machte ein kräftiges Kehrt und schritt hämisch lächelnd der Wachtstube zu.

Der Bursche hatte unterdessen mit Sorge dem diensteifrigen Klauke nachgeschen, und seine scharfe Kombinationsgabe ahmte den unheilvollen Zusammenhang der Dinge. Quapp war indessen nicht so dumm, wie er aussah. Er wußte, daß der Alte, wenn er einmal im Besitze der Bildes war, einen ausgiebigen Gebrauch davon machen und den Vorfall zu einem möglichst gewichtigen Ereignis aufbauschen würde. Er sann deshalb darüber nach, wie er wohl seinem Einjährigen aus der Klemme helfen könnte, in die er ihn doch gebracht hatte. Nach einigem Ueberlegen reifte in ihm ein Plan, der von einer geradezu verblüffenden Einfachheit war und, ein klein wenig durch Unverschämtheit unterstützt, sicher zum Ziele führen mußte.

Zunächst suchte der Bursche seinen Freund Knubbe auf und unterhielt sich mit demselben lange und geheimnisvoll. Das Ende dieser wichtigen Besprechung bildete eine redliche Teilung der gemopsten Havanazigarren zwischen den beiden Verschwörern. Dann riß der erstere von einem Stückchen Wurstpapier eine Ecke ab und schrieb darauf mit Aufopferung seiner gesamten kalligraphischen Künste: „Ihr Bild hat der Wachtmeister gefunden. Sagen Sie, Sie haben es nicht gemalen. Quapp.”

Diesen Zettel trug er mitsamt den Sachen des Einjährigen hinüber in dessen Wohnung.—

Etwas spät und müde kam Stifter nach Hause. Er zündete Licht an und bemerkte auf seinem Tische die ungeschickt abgerissene Ecke fettigen Papieres mit der Kritzelei darauf.

„Ja, was soll denn das heißen?” murmelte Hermann. „Mein Bild! Was für ein Bild? Und der Wachtmeister? Wo soll denn der ein Bild von mir gefunden haben! Alle Wetter, da fällt mir ein, ich habe ja heute den Oberst skizziert. Das Blatt ist weg! Sollte — —? Aber das i st ja ganz unmöglich! Der Wachtmeister kann doch nicht etwa hier gewesen sein? Vielleicht hat Quapp, der Faselhaus, Dummheiten gemacht. Na, warten wir's ab. Morgen ist noch ein Tag. Der Kerl hat übrigens recht, ich werde sagen, ich habe es nicht gemacht; es hat mich ja keiner dabei gesehen.”

Als am nächsten Vormittag die Schwadron von einer anstrengenden Felddienstübung eingerückt war, trat der Wachtmeister mit einer sorgenschweren Dienstmiene zum Eskadronschef heran und brachte seine Beschwerde vor; zugleich überreichte er den „Korpus der licti.”

Rittmeister von Ehrenthal zog seine Stirn in Falten; seine Augen schossen Blitze und sein Schnurrbart zuckte verdächtig.

„Rufen Sie den Einjährigen,” befahl er rauh.

Bald stand der Angeklagte vor seinem Richter.

„Kennen Sie dies Bild?” fragte von Ehrenthal scharf und ließ den durchbohrendsten seiner Blicke auf Stifter ruhen.

„Zu befehlen, Herr Rittmeister!”

„Nun?” fragte Ehrenthal, indem seine Augenbrauen sich noch finsterer zusammenzogen. „Haben Sie weiter nichts zu sagen?”

„Ich weiß nicht, Herr Rittmeister, ob ich mir erlauben darf — —”

„Heraus mit der Sprache! Ich befehle es; was wissen Sie von diesem elenden Bilde?”

„Es ist der Herr Regimentskommandeur, Oberst von Igel.”

„Herr, ich glaube, Sie wollen mich zum besten haben!” schrie Ehrenthal wütend. „Ich will wissen, ob Sie der Verfertiger dieses subordinationswidrigen Machwerks sind?”

„Nein, Herr Rittmeister!”

Der Chef sah überrascht den Wachtmeister an. Knurr machte ebenfalls ein sehr verdutztes Gesicht; bald sammelte er sich jedoch und sagte:

„Der Unteroffizier Klauke hat es mir gesagt!”

„Rufen Sie den Unteroffizier Klauke.”

Bald war der Gesuchte zur Stelle.

„Unteroffizier Klauke, Sie haben gestern dem Wachtmeister gesagt, daß der Einjährig-Freiwillige Stifter dieses Papier hier beschmutzt hat. Ist dem so?”

„Zu befehlen, Herr Rittmeister.”

„Nun, Stifter, behaupten Sie noch immer, das Bild nicht zu kennen?”

Dem Einjährigen wurde himmelangst. Aber jetzt konnte er unmöglich zugeben, daß er der Verbrecher sei. Er wiederholte deshalb, daß er die Zeichnung nie gesehen habe.

„Woher haben Sie das malitiöse Papier, Untroffizier Klauke?” forschte Ehrenthal weiter.

„Von dem Ulanen Quapp, welcher Bursche bei dem Einjährigen ist.”

„Aha!” sagte der Rittmeister.„Rufen Sie den Quapp.

Quapp erschien. Sein Gesicht trug offenbar den Stempel der Dummheit.

„Von wem hatten Sie das Bild, welches Ihnen gestern der Unteroffizier Klauke abgenommen hat? Von dem Einjährigen Stifter, nicht wahr? Kerl, sagen Sic die Wahrheit oder der Deubel soll Hexenfrikassee aus Ihnen machen,” herrschte Ehrenthal ihn ärgerlich an.

„Nee,” sagte da der Bursche, „der Knubbe hat's mich jejäben.”

„So! Noch einer. Na, das wird ja immer schöner. Wo ist Knubbe?”

„Ulan Knubbe!” rief der Wachtmeister.

Knubbe trat heran und machte Front.

„Sie Himmelsakramenter!” schrie Ehrenthal. „Wo haben Sie dies Bild her, welches Sie dummer Kerl gestern dem Schafskopf, dem Quapp, gegeben haben. Sagen Sie mir das endlich, sonst können Sie sich am besten gleich mit dem Totengräber bekannt machen.”

Knubbe machte ein so unschuldig-dummes Gesicht, daß man ihm absolut nichts Böscs zutrauen konnte. Dann sagte er ruhig: „Ich habe es gestern mittag auf dem Kaserneuhof gefunden.”

Der Rittmeister sah den Wachtmeister an und dieser den ersteren, Unieroffizier Klauke besah sich mit Knubbe ganz ebenso und dito der Einjährige mit seinem Burschen.

„Na,” sagte endlich Ehrenthal,„ich habe jetzt genug; denn wenn ich noch weiter frage, dann habe ich in einer halben Stunde die ganze Schwadron hier. Der Knubbe bekommt eine Strafstallwache, weil er auf dem Kasernenhof umherbummelt, anstatt sein schmutziges Hosenleder zu wichsen, Quapp erhält drei, weil er den Unteroffizier Klauke belogen hat. Der Einjährige Stifter soll sich in acht nehmen und der Unteroffizier und der Wachtmeister sollen eine Sache erst ordentlich untersuchen, ehe sie mir dieselbe zur Beschwerde vorbringen. N' Morgen!”

Es folgte nun noch eine Auseinandersetzung zwischen den Zurückgebliebenen, und Zwar schimpfte zunächst der Wachtmeister auf den Unteroffizier. Der Unteroffizier Klanke machte sich natürlich ebenfalls Luft und ergoß seinen Zorn über die Häupter der beiden Kerls, von denen er behauptete, daß sie eine nichtsnutzige Schwefelbande seien.

Der Einjährige aber lachte sich ins Fäustchen, gab seinem Burschen und dem Ulanen Knubbe etwas zum besten, trank mit seinem Kameraden Franz Koch eine Pulle Sekt und nahm sich vor, in Zukunft vorsichtiger mit seinen Skizzen umzugehen.

Ende.

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